Libreville Teil 10
Donnerstag, 24. Mai 1979. Kurz nach Sonnenaufgang flaute der Wind langsam ab und schlief dann gänzlich ein. Auf meiner Koje liegend rekonstruierte ich die Strecke, die wir bislang zurückgelegt hatten. Irgendwann im Laufe des Tages würden wir den Äquator passieren. Vielleicht lagen wir bereits auf der Linie, oder kurz davor.

Für einen Seemann ist die erste Äquatorüberquerung eine wichtige Sache. Ich war froh, diese Erfahrung auf der Golden Harvest machen zu dürfen. Auf den großen Schiffen veranstalten die Seeleuten bei der Äquatortaufe die schrecklichsten Dinge: Speckschnurschlucken, Neptun die Füße küssen und im »Judenloch« baden, da, wo das Altöl gesammelt wurde. All solche Sachen. Ich hatte Angst davor, auf einem christlichen Schiff den Äquator zu überqueren.

Der Ausdruck »christliche Seefahrt« stammte aus dem 17. Jahrhundert, als von der Obrigkeit Gesetze erlassen wurden, mit denen Seeleute unter Androhung von Peitsche und Kerker gezwungen werden sollten, zweimal pro Tag gemeinsam Jesus Christus anzubeten. Wer dabei lachte, oder nicht mit dem nötigen Ernst bei der Sache war, erhielt eine Anzahl Peitschenhiebe, wobei jeder einzelne Schlag bezahlt werden musste. Unter deutschen Seeleuten hieß der Schmerzensmann deshalb einfach nur »Jupp an der Latt’«.

Der Seemannssonntag war der Donnerstag, der Tag des Donnergottes Donar oder Thor, des Jupiters der alten Römer, der in Palästina Ba’al genannt wurde. Am Donnerstag gab es auf den großen Frachtern zum Frühstück Eier, und am Nachmittag frisch gebackenen Kuchen. Es freute mich, dass ich den Äquator zum ersten Mal an einem Donnerstag überqueren sollte, und dass keine christliche Zeremonie stattfinden würde. Im Moment waren bei Momo und Elise abergläubische Rituale genauso wenig gefragt, wie naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Es ging ihnen darum, am Ruder zu bleiben.

Gegen elf Uhr weckte mich das Getrampel der Meuterer. Beim Maniokessen in der Kombüse hörte ich ihre aufgeregten Stimmen. Die Golden Harvest lag in einer flachen Dünung, ohne nennenswert voranzukommen. Vielleicht eine halbe Meile pro Stunde. Die Zwei hatten verschiedene Bücherkisten aus der master’s cabin an Deck geschleppt. Momo stand achtern am Backbord-Schanzkleid neben dem Ruderhaus, mit mehreren Bibeln unterm Arm. Er blätterte hektisch in einem der Bücher, als wollte er Elise eine bestimmte Stelle zeigen, riss dann ein paar Seiten heraus, warf sie wütend über Bord und spuckte fluchend hinterher. Ich fragte was los ist:
»What’s wrong? What the hell are you doing?«

Momo war wie in Trance. Er drehte sich zu mir um und schüttelte die Heilige Schrift. Er würde Bücher hassen:
»I hate books! - Especially this!«

Es kam von Herzen. Er warf das Buch im hohen Bogen über Bord und brüllte:
»With compliments to Sister Magda!«

Gleich darauf wurde das nächste Exemplar ergriffen, verflucht und nach Außenbord beschleunigt:
»Return to sender!«
Die Bibeln sollten dahin verschwinden, wo sie hergekommen waren. Zum Teufel! Zur Hölle!
»Go to hell!«