Libreville Teil 5
Claude war gläubiger Kapitalist. Er bekniete die Waldmenschen, beschwor sie mit Händen und Füßen, mit Tränen in den Augen: Sie könnten so reich werden wie Omar Bongo, wenn sie nur endlich begreifen würden, dass Zeit Geld ist! Wenn es schlimm kam, führte er einen Tanz auf, schmiss alles hin, ballte die Fäuste und brüllte so lange »Merde«, bis die Gesprächspartner weich wurden. Beim Verhandeln jammerte er, als hätte man ihn soeben übers Ohr gehauen. Man musste es ihm glauben. Er feilschte um jeden »Zeffa« und machte ein Riesengeschäft. Am Glücklichsten schien er mir, wenn er am Abend das Geld zählte. Es gab seinem Leben Sinn.

Das Autofahren im Dauerregen forderte höchsten Einsatz. Auf dem Weg nach Lambarene spülte ein Erdrutsch die Piste weg. Der ganze Hang sank direkt vor unseren Augen ins Tal. Claude kehrte fluchend um. Der Ogowe trat über die Ufer. Die wenigen Brücken standen unter Wasser. Die wichtigsten Straßen wurden von den Militärs gesperrt, durch Ketten, die sie zwischen Betonblöcken befestigten, knapp einen Meter über der Fahrbahn. Claude versuchte, die Ketten zu sprengen, er fuhr um sie herum und setzte immer wieder seinen Willen durch. Wenn er sich von einer Kette aufhalten ließe, könnte er sich gleich eine Kugel in den Kopf schießen. Einmal raste er bei schlechter Sicht mit Vollgas in so eine Absperrung. Das Dach des Fahrzeugs wurde abgesäbelt. Als er wieder zu sich kam, lag die Kette hinter seinem Hals. Claude hatte nicht einen Kratzer. Er beteuerte, Iboga habe ihn unsterblich gemacht.

Ende März besuchte Claude kurz die Golden Harvest, zusammen mit dem französischen Paar. Sie brachten eine Kiste voll Obst und gut erhaltene warme Pullover. Die Dünung war widerlich an dem Tag. Der Schoner rollte wie ein Log. Wir legten uns quer auf die Kojen im Vorschiff, um nicht von den Füßen geschleudert zu werden. Die drei fühlten sich schon seekrank, als sie ins Dingi stiegen. Sie stöhnten bei jeder Welle. Beim Entern des Schiffes brauchten sie beide Hände. Die Franzosen waren so schockiert, dass sie vergaßen zu kotzen. Alles sei okay. Sie wollten sich nicht unterhalten, nur etwas Kraft schöpfen im Liegen, um dann so bald wie möglich zurück zu fahren.

Auf der nächsten Tour sprach Claude mehrfach von diesen Besuch bei uns: Wie wir das aushalten würden? Es sei nicht human, kein Mensch könne das ertragen, dieses Schaukeln: »Impossibel!« Er bewunderte uns, und stellte immer wieder gestenreich dar, wie er an Bord der Golden Harvest hin und her geschleudert wurde. »Katastrophal« und »fatal« hießen die Worte, die ihm dazu einfielen. Er hielt sich resolut den Zeigefinger an die Schläfe, um zu verdeutlichen, dass er sich erschießen würde, wenn er gezwungen wäre, länger als eine halbe Stunde auf der Golden Harvest zu bleiben. Wir seien richtige Helden, Piraten. Total verrückt.

Claude hatte in den letzten Tagen einen Austernfischer kennen gelernt, der in einer engen Schlucht wohnte, über die, als Brücke für die Waldbewohner, ein riesiger vermoster Baumstamm führte. Er kam fluchend die Böschung hoch, mit einer Holzkiste voll Muscheln im Arm, die mörderisch stanken. Er wollte schnell nach Libreville, um die Biester lebend zu verkaufen. Der kürzeste Weg führte über die Schlucht, über den vier Meter breiten Stamm. Der war nicht für Automobile gedacht. Claude bretterte trotzdem drüber, trotz des Regens und der Nebelschwaden, die aus dem Tal aufstiegen: »S’ent faut la morte!« Mein Herz blieb kurzfristig stehen.